Traumasensibles Coaching und warum es so wichtig ist
Hast du schon mal was von traumasensiblem Coaching gehört?
Und weißt du, was darunter verstanden wird?
Oder warum es in den letzten Jahren immer mehr an Bedeutung gewonnen hat?
Genau diese Fragen wollen wir in diesem Blogartikel beantworten und du bekommst auch 6 ganz konkrete Tipps an die Hand, mit denen du mehr Traumasensibilität in deine Coaching-Praxis bringen kannst.
Was sind eigentlich Traumata?
Bevor wir anschauen, was Traumasensiblitität oder traumasensibles Coaching bedeutet, soll zunächst mal der Begriff Trauma erklärt werden. Das Wort Trauma stammt aus dem griechischen und bedeutet so viel wie “Wunde”, meint also etwas, was nach körperlichen, emotionalen, psychischen und seelischen Verletzungen seine Spuren hinterlässt.
Dabei denken die meisten beim Wort Trauma sofort an die größeren Schocktraumata wie Missbrauchs- oder Gewalterfahrungen, schwerwiegende Verluste, Unfälle oder auch an posttraumatische Belastungsstörungen z.B. durch Kriegserlebnisse.
Dabei wird inzwischen unter dem Begriff weit mehr als das zusammengefasst und verstanden.
Auch Bindungs- und Entwicklungsstörungen, die in der frühen Kindheit oder sogar noch vor oder während der Geburt entstehen, bezeichnet man als Traumata.
Und schließlich fallen unter den Begriff des Traumas auch sämtliche Ereignisse, die unser Nervensystem über die Zeit überlasten und somit dazu führen, dass das Nervensystem aus der Balance gerät (chronischer traumatischer Stress).
Erlebnisse, die im Nervensystem Traumaspuren hinterlassen können
- nicht-verfügbare Bezugspersonen oder ein liebloses Umfeld
- zu viel Stress der Bezugspersonen, der sich auf uns überträgt und zur Dysregulation des Nervensystems führt (insbesondere in der Schwangerschaft, in der wir die Stresshormone der Mutter direkt über die Plazenta aufnehmen und damit bereits bei der Geburt ein Grundlevel an Stress aufweisen)
- ein liebevolles Umfeld, aber eine (oder mehrere) Situation(en), in denen wir vielleicht das Gefühl hatten, unsere Mutter hätte uns verlassen (z.B. wenn wir im Supermarkt verloren gegangen sind) oder wir werden nur geliebt, wenn wir unsere Wut unterdrücken (z.B. wenn wir geschimpft werden, weil wir dem neuen Baby wehtun)
- emotionaler und verbaler Missbrauch, z.B. durch ständiges Beschämt-Werden (in Bezug auf den Körper, das Aussehen, die Intelligenz), Kritik oder auch Bestrafung durch Ignoriert-Werden
- häufige Umzüge, die immer wieder mit einem Verlust der Freunde einhergehen
- Mobbing
- unterdrückte Emotionen und unterschwellige, unausgesprochene Konflikte
- chronischer Stress und Unsicherheit, z.B. bezüglich des Jobs (Kritik des Vorgesetzten), der Partnerschaften (ständige Streits oder Konflikte) o.ä.
- andauernde Umgebungsfaktoren wie Baustellenlärm, Naturkatastrophen o.ä.
- Vorbeileben an der eigenen Wahrheit
All diesen verschiedenen Formen, die unter dem Begriff Trauma zusammengefasst werden, haben eine Gemeinsamkeit: sie gehen damit einher, dass wir - um unser Überleben zu sichern - die Verbindung zu unserem authentischen Selbst, unseren Bedürfnissen und auch unseren körperlichen Empfindungen und/oder Emotionen unterbrechen.
Daher sagt beispielsweise Stephen Porges, der Entwickler der Polyvagalen Theorie:
“Trauma ist alles, was deine Verbindung zu dir selbst unterbricht.”
Zusammengefasst bedeutet es, dass höchstwahrscheinlich in uns allen solche unverarbeiteten Traumata und chronischer traumatischer Stress schlummern, die uns oft (unbewusst) davon abhalten, das Leben zu leben, dass wir uns eigentlich wünschen.
Traumasensiblität im Coaching… was bedeutet das jetzt genau?
Im Grunde genommen ist es so, dass wir - sobald wir mit Menschen zu tun haben - auch mit dem Thema Trauma in Kontakt kommen.
Einfach, weil in uns allen Spuren dieser verschiedenen Traumata existieren.
Mit diesem Hintergrundwissen wird wahrscheinlich schnell klar, warum Traumasensiblität gerade im Coaching so wichtig ist.
Aber was genau bedeutet es jetzt eigentlich, traumasensibel zu coachen oder auch allgemein im Alltag mit unseren Mitmenschen, traumasensibel zu handeln und zu kommunizieren?
Bevor wir das klären, soll an dieser Stelle jedoch erwähnt werden, dass traumasensibles Coaching KEINE Traumatherapie ist und eine solche auch nicht ersetzt.
Während die Traumatherapie sich damit beschäftigt, das Trauma zu verarbeiten und zu integrieren, geht es im traumasensiblen Coaching um eine generelle Sensibilität in der Arbeit mit Traumafolgen wie beispielsweise emotionalen Triggern oder vermeintlicher Selbstsabotage.
Wichtig ist hier neben dem Verständnis dafür, dass es sich bei diesen Themen tatsächlich um Traumafolgen handelt, auch ein Grundwissen über die Funktionsweise und Auswirkungen von Traumata im Nervensystem.
Da Traumata immer mit der verlorenen Verbindung zu sich und den eigenen Bedürfnissen einhergeht, ist es wichtig, in der traumasensiblen Begleitung und Kommunikation genau darauf einen Fokus zu legen.
Es geht also darum, Menschen dabei zu unterstützen, sich selbst, ihre Bedürfnisse und ihre körperlichen Empfindungen wieder besser spüren zu lernen - so dass ihr Nervensystem wieder ein Gefühl von Sicherheit in sich selbst findet.
Dies ist entscheidend, da das Nervensystem in der Folge des Traumas dauerhaft dysreguliert wird (d.h. aus der Balance gerät) und überall Gefahr wittert, sich dabei aber grundsätzlich nicht mehr sicher fühlt.
Daher ist es im traumasensiblen Coaching besonders essentiell, sich im Coaching-Prozess weniger auf das Tun und Handeln zu fokussieren, als vielmehr auf das Sein und den Zustand des Nervensystems.
Mit dem Ziel, das Nervensystem zu regulieren, so dass die Person sich in sich selbst wieder sicher fühlt und mit sich selbst verbunden sein kann.
Dazu gehört auch, Coachees zu begleiten weniger mit dem Verstand zu denken, als vielmehr im Körper zu fühlen.
So finden sie wieder Zugang zu den körperlichen Empfindungen und unterdrückten Emotionen und können diesen dann in einem traumasensiblen und bewertungsfreien Raum erlauben, einfach da zu sein.
Egal ob das vielleicht Wut, Ärger oder Traurigkeit ist.
Durch dieses bedingungslose Spüren und Erlauben (mehr dazu kannst du auch in unserem Blog-Artikel über das SEIN-Modell lesen) von allen Anteilen in uns, dehnt das Nervensystem seine sog. Stresskapazität aus.
Das bedeutet, dass Situationen und Themen, die bisher als Trigger gewirkt haben, irgendwann nichts mehr in uns auslösen und wir diesen Situationen und Themen daher ganz anders - und frei - begegnen können.
Ein weiteres Anliegen von traumasensiblen Coaches ist es außerdem, ihre Klientinnen dazu zu empowern, den eigenen, individuellen Weg zu finden und den eigenen Bedürfnissen und Impulsen zu vertrauen.
Da Trauma immer im Nervensystem entsteht, ist es für traumasensibles Coaching essentiell, den Körper und das Nervensystem mit einzubeziehen.
Aber wie genau lässt sich das in der Praxis umsetzen, so dass das Nervensystem sich von den Traumareaktionen lösen kann und wieder zurückfindet in einen Zustand der inneren Sicherheit?
3-teiliges Video-Training
Die Neurobiologie
echter Transformation
Warum das Nervensystem der Schlüssel für nachhaltige Veränderung ist und wie du mit 4 simplen Schritten damit arbeiten kannst
6 Tipps für mehr Traumasensibilität in deiner Coaching-Praxis
Die folgenden 6 Praxistipps helfen dir dabei, Traumsensiblität direkt in deinen Coaching-Prozess einfließen zu lassen.
1. Eigne dir Wissen über das Nervensystem und Traumata an
Je mehr du dich mit dem autonomen Nervensystem, seinem Einfluss auf unser Denken und Handeln - aber auch die Entstehung von Traumata vertraut machst, umso mehr schaffst du die Grundlage für traumasensibles Coaching.
Im Idealfall lernst du auch Tools & Techniken des NeuroEmbodiments kennen, um deine Kunden körperorientiert (nicht nur verstandesorientiert) dabei zu unterstützen, einen Zugang zu unterdrückten Themen und Traumaspuren, aber auch zu ihren Bedürfnissen zu bekommen.
Es ist außerdem wichtig, zu lernen, wie du das Nervensystem deiner Coachees “lesen” und hinter die gesprochenen Worte spüren kannst, um mit allen Sinnen zuzuhören, anstatt nur mit dem Verstand.
2. Schaffe eine sichere und vertrauensvolle Atmosphäre
Ein sicherer und vertrauensvoller Raum ist die wichtigste Grundlage für traumasensible Arbeit. Diesen erschaffst du einerseits, indem dein eigenes Nervensystem reguliert ist und Sicherheit ausstrahlt. Andererseits, indem du weniger auf dein Tun und irgendwelche Checklisten oder 0815-Prozesse fokussierst, als vielmehr auf dein Sein und deine bewertungsfreie und wertschätzende Haltung.
Dies ist auch bekannt als Fähigkeit des “Space Holdings” (also: Raum halten) und es geht darum, dass du als traumasensibler Coach verantwortungsvoll das halten kannst, was bei deinen Kundinnen aufkommt - ohne es zu bewerten oder gar zu verurteilen.
Es geht also darum, allem, was sich zeigt, einfach die Erlaubnis zu geben, da zu sein - das gilt insbesondere auch für intensive und oftmals unangenehme Emotionen wie Wut, Trauer, Scham o.ä.
3. Vertraue auf den Prozess deiner Coachees und übe niemals Druck aus
Achte darauf, niemals steuernd in den Prozess einzugreifen, weil du denkst, du wüsstest die Lösung. Vertraue stattdessen darauf, dass sich relevante Themen zur richtigen Zeit zeigen, ohne dass du darauf drängen müsstest, Druck ausübst oder es als deine Aufgabe ansiehst, deinen Coachees die Augen zu öffnen.
Du bist als traumasensibler Coach niemals Berater oder “Analyst” des Problems deines Kunden, sondern vielmehr liebevoller Begleiter.
Gib also deinen Kunden und deren Nervensystem Zeit zu heilen. Wir alle sind anders und brauchen dementsprechend mehr oder weniger Zeit, um etwas zu verändern. Je mehr Stresskapazität das Nervensystem entwickelt, desto eher kommen die relevanten Themen zum Vorschein und können dann bearbeitet werden, wenn sie sich zeigen.
4. Gib deinen Coachees immer die Wahl, selbst zu entscheiden
Das ist insbesondere wichtig, wenn es darum geht, wie tief eine Person in den Prozess eintaucht, welche Tools & Methoden du nutzt und auch welche Impulse beim Coachee aufkommen.
Unterstütze deine Kunden dabei, ihre Grenzen kennenzulernen, ihren Impulsen zu vertrauen und auch dir als Coach gegenüber zu kommunizieren, wenn sich etwas (z.B. ein Coaching-Tool oder die Richtung des Coaching-Prozesses) nicht stimmig anfühlt oder sie gerade etwas anderes brauchen. Das braucht von dir als Coach ein reguliertes Nervensystem und eine gewisse Demut und verlangt, dass du dein eigenes Ego hinten anstellst und nichts als Kritik an dir ansiehst - sondern deine Kundinnen dafür feierst, dass sie beginnen, das zu kommunizieren, was sie brauchen.
5. Empowere deine Coachees, ihre eigene Wahrheit zu leben und auszusprechen
Unterstütze deine Kunden dabei wieder in ihre eigene Kraft zu kommen und aus der eigenen Kraft - ohne Abhängigkeit von dir als Coach - heraus Lösungen zu kreieren und ein Leben in Verbundenheit zu leben, mit sich und anderen.
6. Sei verantwortungsvoll und demütig als Coach
Sei dir deiner eigenen Grenzen und Fähigkeiten bewusst und rate ggfs. auch mal einen Kunden zu einer Therapie, wenn du merkst, dass dies nötig ist.
Das bedeutet aber auch, dass du dir bewusst bist, dass die Erfolge deiner Kunden niemals wegen oder durch dich entstehen, sondern dass deine Coachees den Weg immer selbst gehen und gehen müssen. Du begleitest sie einfach bestmöglich.
Zusammengefasst geht es beim traumasensiblen oder auch nervensystemfreundlichen Coaching darum, dem Coachee den Raum zu geben, zurück zum wahren und authentischen Selbst zu finden, um eigene Entscheidungen zu treffen, die der inneren Wahrheit entsprechen.
Wir wollen an dieser Stelle außerdem noch einmal anmerken, dass traumasensibles Coaching KEINE Traumatherapie ist, sondern Coaching, das sich der Zusammenhänge im Nervensystem und Körper bewusst ist und somit Menschen in tiefen und heilenden Prozessen unterstützen kann.
Wenn du gerne konkrete Tools und Techniken lernen willst, um nervensystemfreundlich und traumasensibel als Coach zu arbeiten, erhältst du hier alle Infos zu unserer NeuroEmbodied Soul Centering® Coaching-Ausbildung.
Darin lernst du, wie du deine Kunden durch körperorientiertes, ganzheitliches Coaching nachhaltig dabei unterstützen kannst, das Leben ihrer Träume zu führen.
Podcast-Empfehlungen zum Blogartikel
- Podcast-Episode 183: Das NeuroEmbodied Healing® Framework: Weg zum authentischen Selbst
- Podcast-Episode 184: Behind The Scenes - Fokus aufs Nervensystem im Business
- Britta Kimpel im Interview mit Pia Mortimer: Raus aus dem Kopf, rein in den Körper
- Podcast-Episode 158: Was ist Embodiment und wofür ist es gut
- Podcast-Episode 150: Die 5 Prinzipien des NeuroEmbodied Soul Centering® für mehr Achtsamkeit
- Podcast-Episode 7: Holding Space - Für dich und andere da sein